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06.08.2013

Dornröschen und das Obere Mittelrheintal

Geprägtes Silber und Gold zu einem Märchen der Brüder Grimm und das Weltkulturerbe

Jeder kennt das Märchen von Dornröschen. Von den Brüdern Grimm 1812 in ihren Kinder- und Hausmärchen veröffentlicht, ist es in etlichen Fassungen und vielen Sprachen verbreitet, wurde aber auch verfilmt und vertont. In Frankreich kam schon 2003 ein goldenes Zwanzig-Francs-Stück mit dem Titel "La belle au bis dormant" als Teil einer populären Märchenserie heraus. 2015 zieht die Bundesrepublik Deutschland mit der Ausgabe einer Zehn-Euro-Münze nach, die in München mit dem Kennzeichen D in einer Silber- und einer Neusilberausführung geprägt wird. Die Auflage reicht aus, dass sich Sammler sowohl die eine als auch die andere Version sichern können. Vorangegangen waren deutsche Ausgaben mit Motiven aus den Märchen "Schneewittchen" (2013) sowie "Hänsel und Gretel" (2014). Zum Auftakt der Serie kam 2012 eine Zehn-Euro-Münze mit dem Doppelbildnis der als Sprachforscher und Märchensammler tätigen Brüder Jacob und Wilhelm Grimm heraus.

Die Jury hat aus einer Fülle von Einsendungen für den künstlerischen Wettbewerb die Dornröschen gewidmete Arbeit der Berliner Münzdesignerin Marianne Dietz ausgewählt. "Die Verfasserin hat einen ausgewogenen plastischen Entwurf vorgelegt, der durch seine einfühlsame Kontrastierung der zum Märchen gehörenden Attribute das Geschehen spiegelt", stellt das Preisgericht anerkennend fest. Ohne sich einer übertriebenen historisierenden Darstellung zuzuwenden, werde eine der wohl typischsten Szenen aus dem Märchen festgestellt. Abgebildet ist das auf einem Stuhl sitzende schlafende Mädchen, dem ein Spinnrocken aus der Hand fällt. Die vergiftete Spindel liegt am Boden, mit der sich das Mädchen in den Finger gestochen hatte. Mit Blüten besetzte Rosenzweige umrahmen die Szene und weisen auf den Titel des Märchens hin. Die Rückseite des Entwurfs zeigt nach Ansicht der Jury einen der Bildseite adäquaten Bundesadler, der ähnlich wie die Figur der Bildseite feingliedrig durchgeformt ist und Würde ausstrahlt. Weitere Entwürfe kombinieren die Rosen mit dem schlafenden Mädchen und dem rettenden Prinzen oder zeigen den Kopf von Dornröschen mit dem Schloss im Hintergrund, das mit von der eifer- und rachsüchtigen Fee mit dem Todesbann belegt wurde.

Das Märchen erzählt, dass eine Königin nach langer Zeit ein Mädchen zur Welt gebracht hat. Ihr über seinen Nachwuchs glücklicher Gemahl lässt ein schönes Fest ausrichten, zu dem zwölf Feen eingeladen waren. Weil aber das Geschirr nicht ausreicht, kann die dreizehnte Fee an dem Gelage nicht teilnehmen. Außer sich vor Zorn spricht sie über das neugeborene Kind einen Fluch aus, demzufolge die Prinzessin an ihrem fünfzehnten Geburtstag sterben soll. Aus Mitleid wandelt eine der zum Fest geladenen Feen die Strafe in einen hundertjährigen Tiefschlaf um. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Nichtsahnend besucht die Prinzessin an jenem Geburtstag ein Zimmer im Schloss, in dem eine alte Frau Flachs zu Fäden spinnt. Das Mädchen möchte das auch tun und sticht sich mit der vergifteten Spindel in den Finger. Darauf fällt die Prinzessin, der königlichen Familie und der Dienerschaft in einen hundertjährigen Schlaf. Um das Schloss wächst ein dichtes, dornenbewehrtes Gestrüpp von Rosen, das kein Durchkommen zulässt. Als die Rosen erblühen und die Frist herum ist, gelingt es einem Prinzen, das Dickicht zu überwinden und zu dem schlafenden Mädchen vorzudringen. Durch einen Kuss wird es aus seinem Tiefschlaf erweckt, und auch die Höflinge und Dienerschaft wachen auf und setzen ihre Tätigkeit fort, als sei nichts geschehen.

Wenn man sich mit Dornröschen näher beschäftigt, wird man feststellen, dass die Geschichte schon in der Barockzeit in Frankreich bekannt war. Der Schriftsteller Charles Perrault brachte es in einem auf mündlichen Überlieferungen basierenden Märchenbuch unter. Die Brüder Grimm lernten sie in der Kasseler Familie Hassenpflug kennen. Deren Mitglieder hatten hugenottische Wurzeln und sprachen um 1800 noch viel Französisch. Für Jacob und Wilhelm Grimm war es kein Problem, dass das Märchen aus Frankreich stammt. Sie offerierten ihre Sammlung als deutsch und wiesen auf germanische Vorbilder hin. So reklamieren beide Länder das anmutige Mädchen und den mutigen Prinzen, der alle Hindernisse zu überwinden imstande ist.

Seit 2002 gehört das rund 65 Kilometer lange Obere Mittelrheintal zum Weltkulturerbe der Unesco. Die UN-Organisation für Kultur, Wissenschaft und Erziehung würdigte bei der Kür den außergewöhnlichen Reichtum des Tals an historischen und natürlichen Zeugnissen sowie die von ihnen ausgehenden emotionalen und geistigen Assoziationen. Seine besondere Erscheinung verdanke die Kulturlandschaft zwischen Bingen, Rüdesheim und Koblenz einerseits der spezifischen Ausformung der Flusslandschaft und andererseits der Gestaltung durch die hier lebenden Menschen. Seit zwei Jahrtausenden stelle das Mittelrheintal einen der wichtigsten Verkehrswege für den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen der Mittelmeerregion und dem Norden Europas dar. Es gibt unzählige Bilder, Gedichte und Geschichten, die die Region feiern und zu einem Sehnsuchtsziel der Extraklasse machen.

Der Rhein war mal Brücke, mal Grenze zwischen Ländern und Kulturen, und so war es für die Gestalter der für 2015 geplanten Hundert-Euro-Münze nicht einfach, adäquate Entwürfe und Modelle zu schaffen. Das von der Jury mit dem 1. Preis ausgezeichnete Modell von Friedrich Brenner (Diedorf) zeigt das mit dem Unesco-Adel ausgezeichnete Mittelrheintal in der Vogelperspektive. Die Betrachter lesen auf der von allen fünf deutschen Prägeanstalten hergestellten Goldmünze im Norden den Namen von Koblenz und im Süden den von Bingen. Die beiderseits des gebogenen Flusslaufes befindlichen Städte und Gemeinden sind durch winzige Kreise angedeutet. In die bergige Landschaft hat der Künstler berühmte Bauwerke montiert, und eingefasst ist die ungewöhnlich plastische Modellierung, wie die Jury schreibt, durch die vertiefte Inschrift UNESCO WELTERBE OBERES MITTELRHEINTAL. Nach Meinung des Preisgerichts passt die Adlerseite gut zur Vorderseite. "Eine strenge und klare Ordnung repräsentiert diese Münzseite, eingefasst in eine wohl bemessene Groteskschrift. Es ist ein in Idee und Umsetzung insgesamt sehr überzeugender Entwurf".

Der Blick aus der Luft auf das sich in eleganten Windungen hinziehende Obere Mittelrheintal bot sich auch für andere am Münzwettbewerb beteiligte Künstler an. Etliche Einsendungen rücken die mitten im Rhein auf einem Tonschieferfelsen erbaute Burg Pfalzgrafenstein in den Mittelpunkt. Sie spielte während der Befreiungskriege eine Rolle, als am Neujahrstag 1814 der preußische Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher mit seinen Truppen den Rhein überquerte und sich dem nach Frankreich abziehenden Kaiser Napoleon I. an die Fersen heftete. Die Pontons ankerten an der Felseninsel und gaben den Preußen Halt zum Übersetzen. Nicht in die engere Wahl kamen Münzentwürfe, die sich dem Thema eher symbolisch näherten oder nur am Rheintal gelegene Bauwerke versammeln.

Die neue Goldmünze gehört zu einer Serie von Prägungen im Wert von 100 Euro, die deutsche Welterbestätten verewigen. Bisher sind diese Ausgaben erschienen: Quedlinburg (2003), Bamberg (2004), Weimar (2006), Lübeck (2007), Goslar (2008), Trier (2009), Würzburg (2010), Wartburg bei Eisenach (2011), Aachen (2012), Wörlitz (2013) und Kloster Lorsch (2014). Die Lücke von 2005 wird durch eine Hundert-Euro-Münze anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland gefüllt. Die erwähnten Goldmünzen nehmen in einer Sammlung, die sich mit Bau- und Kunstdenkmalen befasst, einen Spitzenplatz ein. Hierher gehören zahlreiche Ausgaben, auf denen Burgen und Schlösser, Kirchen, Klöster, Standbilder, Brunnen, Brücken und ganze Stadtansichten verewigt sind. Speziell zu dem neuen Goldstück von 2015 könnte man eine Gedenkmünze von 1930 im Wert von drei und fünf Reichsmark legen, die an die Räumung des Rheinlandes von französische Truppen erinnert. Zu sehen ist ein Adler, der auf einer den Rhein überquerenden Brücke sitzt und in Richtung Westen blickt, umschlossen von dem Spruch DER RHEIN DEUTSCHLANDS STROM NICHT DEUTSCHLANDS GRENZE. Die Rheinlandbesetzung war vom Versailler Vertrag verfügt worden und wurde am 1. Juli 1930 beendet, weshalb noch im gleichen Jahr diese Gedenkausgabe erschien. Helmut Caspar