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24.11.2014

Lebenswahre Bildnisse

In der Renaissance hat man Menschen als individuelle Wesen auf Münzen und Medaillen neu entdeckt

Vor über einem halben Jahrtausend wurde die Individualität des Menschen neu entdeckt. Authentische Porträts kamen auf Münzen und Medaillen seit der Renaissance im Zeichen der Rückbesinnung auf die Antike wieder in Mode. Hatten sich antike Stempelschneider lange Zeit um wahrheitsgetreue Porträts römischer Kaiser und Kaiserinnen bemüht, so ging diese Kunst in der Spätzeit des Weströmischen Reichs und im Oströmischen Reich verloren. Anstelle fein ausgearbeiteter Bildnisse, die es mit zeitgenössischen Büsten und anderen Skulpturen aufnehmen konnten, verkamen die Münzbildnisse der Spätantike und des Mittelalters immer mehr zu schemenhaften Andeutungen. Kaiser Karl der Große war eine Ausnahme, er erscheint gut erkennbar um das Jahr 800 auf seltenen Denaren, ganz der Tradition römischer Cäsaren verpflichtet. Danach hat man Köpfe und Bildnisse von geistlichen und weltlichen Fürsten nur noch in Umrissen ohne jede Individualität verewigt. Offenbar war die Wiedergabe von Rüstungen und Wappen den Graveuren wichtiger als die Mühe um authentische Porträts.

Von diesem Brauch rückte man im Laufe des 15. Jahrhunderts zuerst in Italien und Frankreich und dann in anderen Ländern ab, als man Menschen zum vornehmsten Gegenstand der Kunst machte und realistische Porträts. Frühe Beispiele für glaubhafte Bildnisse auf Münzen des 15. Jahrhunderts finden wir auf den kleinen, aber edel gestalteten Testoni italienischer Fürstenhäuser und der Päpste. Abgeleitet vom Wort testa für Kopf, waren diese silbernen "Kopfstücke" auch für benachbarte Länder vorbildlich und ein willkommener Anlass für münzprägende Potentaten, sich lebenswahr und vorteilhaft für ewige Zeiten darzustellen. Glaubhafte Bildnisse waren wichtig als Mittel der Kommunikation, und sie finden sich auch auf Medaillen, die in jenem Jahrhundert erst in gegossener, dann auch in geprägter Form in größerer Zahl herausgegeben wurden.

Manchmal sind Münzbildnisse von ungeschminkter Hässlichkeit, und wenn man Prägungen aus einer langen Regentschaft nebeneinander legt, kann man Alterungsprozesse beobachten, wie das Beispiel preußischer Münzen zeigt, auf denen sich König Friedrich II. in seiner 46-jährigen Regierungszeit vom jungen zum "Alten Fritz" mit eingefallenen Wangen und zahnlosem Mund wandelte. Bei vielen Münzen habsburgischer Kaiser wird eine interessante Familieneigenheit, die hängende "Habsburgerlippe", nicht verschwiegen.

Der ewige Wandel der Haar- und Bartmode lässt sich anschaulich auch auf Münzen und Medaillen nachvollziehen. Stempelschneider haben stets große Sorgfalt auf die genaue Wiedergabe von Frisuren gelegt, die ja immer auch Standesmerkmale waren. Bei Frauen erkennt man kunstvoll aufgetürmte Haarkleider. Wer mit der Mode ging, ließ sich gelegentlich die Stirn ausrasieren und galt damit in bestimmten Perioden als besonders schön. Fürstliche Witwen legten den Schleier an. Ihn erkennt man auf Münzen der englischen Königin Victoria, die aus Kummer um ihren früh verstorbenen Gemahl Schwarz trug und dem "victorianischen Zeitalter" ihren Stempel aufdrückte.

Wie in der Gegenwart, so unterlag auch früher bei den Männern das Tragen von Haaren und Bärten modischen und sozialen Einflüssen. Reicher Kopf- und Kinnbesatz galt in der Antike als Zeichen freier Geburt. In der Barockzeit trugen Männer, die etwas auf sich hielten und es sich auch leisten konnten, über dem eigenen Haar eine auf Schulter und Rücken fallende Perücke. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden die Locken in Beuteln versteckt oder zu Zöpfen gedreht. Gelockt oder streifig, lang gewachsen oder kurz geschnitten ist auf Münzen nahezu alles vertreten, was bei Bärten möglich ist. Nach langer Abwesenheit im 17. und 18. Jahrhundert, wo höchstens dünne Oberlippen- und Kinnbärte en vogue waren, wurden im 19. Jahrhundert lange Vollbärte wieder schick. Auch diese kann man auf zahlreichen geprägten Münzen sehen.
Es versteht sich, dass man nach 1789 im revolutionären Frankreich bewusst von Hofgewändern und Seidenstrümpfen der entmachteten Adelsklasse abhob und neue Kleidungs- und Haarmoden einführte, die man auch auf Münzen und Medaillen erkennt. Napoleon Bonaparte ließ er sich auf geprägtem Metall in der Pose und Kleidung antiker Herrscher darstellen. Statt der bourbonischen Lilien erhob er Adler und Bienen zu seinen Herrschaftssymbolen. Mit dem Aufkommen von Uniformen verschwand das Fürstenporträt unter einem steifen Kragen, doch meist wurde auf Münzen und Medaillen nur noch der am Hals abgeschnittene Kopf abgebildet. Das Thema "Mode auf Münzen" bietet viel Stoff für historische Entdeckungsreisen. Was der sprichwörtliche "kleine Mann" und seine Frau trugen und womit sie sich vor Kälte, Nässe und Hitze schützten, wird man auf geprägtem Metall nicht finden. Dazu muss man Gemälde, Grafiken und Skulpturen befragen, in die Museen gehen und die Chroniken studieren. Helmut Caspar