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10.01.2012

Blick ins tiefe Mittelalter

In der Uckermark kam ein sensationeller Fund byzantinischer Geldstücke ans Tageslicht

Um das Jahr 1885 entdeckten Bauern auf einem Acker im Dorf Biesenbrow nördlich von Angermünde in der Uckermark etwa 200 Goldmünzen byzantinischer Kaiser aus dem fünften und sechsten nachchristlichen Jahrhundert. Gegen damalige Gesetze brachten die Finder die jeweils etwa 4,5 Gramm schweren Solidi zum Goldschmied, der sie einschmolz. Lediglich wurde der für die Region ungewöhnliche Schatz durch einen Lehrer namens Dalichow dokumentiert. Von der Fundmasse gelangten jeweils nur zwei Goldstücke ins Berliner Münzkabinett und das Märkische Museum in Berlin.
In den grauen Novembertagen des vergangenen Jahres wurden Experten vom Archäologischen Landesmuseum auf jenem Feld erneut fündig, den der Schulmeister damals "bei der Hintermühle" beschrieben hatte. Archäologen rückten mit Spaten und Metallsonden an und entdeckten in der Ackerkrume acht byzantinische Goldstücke. Diese für die Region ganz untypischen Prägungen wurden ab 5. Januar 2012 von der brandenburgischen Kulturministerin Sabine Kunst sowie dem Landesarchäologen Franz Schopper, dem Direktor des Berliner Münzkabinetts Bernd Kluge und dem Historiker Felix Biermann in der Potsdamer Staatskanzlei vorgestellt. Bei der Präsentation war von einer wissenschaftlichen Großtat die Rede, von einem Schlaglicht auf eine unbekannte, ja dunkle Epoche nachantiker Zeit in der heutigen Mark Brandenburg.
Felix Biermann war 2011 den "blumigen" Notizen des Schulmeisters nachgegangen, wollte wissen, was daran Dichtung und Wahrheit ist. "Die acht Goldmünzen lagen auf dem 400 mal 800 Meter großen Acker weit verstreut. Unter der Krume fanden wir Reste eines schwarzglasierten Kruges, der im Laufe der Zeit durch landwirtschaftliche Arbeiten zerstört wurde, sowie bronzene Gewandfibeln und andere Hinterlassenschaften einer kleinen Siedlung, deren Namen wir nicht kennen", sagte Biermann. Die Frage, wie byzantinische Goldmünzen in die öde Gegend gelangten, sei nicht eindeutig zu beantworten. Es sei zu vermuten, dass die Besitzer dieses bedeutenden Vermögens im Zusammenhang mit bewaffneten Auseinandersetzungen in Thüringen in den unbewohnten Norden geflüchtet waren. Sie versteckten den Schatz, doch ging ihre Hoffnung nicht in Erfüllung, ihn in besseren Zeiten wieder bergen zu können, wie es auch bei unzähligen anderen Münzfunden der Fall war. Franz Schopper kündigte weitere Grabungen an der Stelle an. Furcht vor Raubgräbern bestehe nicht, es sei nicht zu erwarten, dass weitere Goldmünzen gefunden werden. Der Goldfund von Biesenbrow werde ab Februar im Archäologischen Landesmuseum im Paulikloster zu Brandenburg an der Havel und ab Frühsommer für einige Zeit im Prenzlauer Dominikanerkloster gezeigt, um nach der wissenschaftlichen Bearbeitung dauerhaft einen Ehrenplatz im Paulikloster zu bekommen.
Bernd Kluge, im Berliner Münzkabinett für das Mittelalter zuständig und mit Münzfundanalyse beschäftigt, beschrieb gestern die Goldmünzen als "numismatische Ufos in der uckermärkischen Kartoffelerde". Was unter den byzantinischen Kaisern geprägt wurde, waren quasi die Dollars des Mittelalters, vergleichbar mit heutigen 500-Euro-Scheinen. Auf den acht Stücken seien Bildnisse verschiedener Kaiser zu erkennen, beginnend bei Theodosius (reg. 401-450) und endend mit Justinian dem Großen (527-565). "Während es sich um bekannte Stücke handelt, ist der Solidus des Merowingerkönigs Theudebert I. (533-548) sozusagen der Rolls Royce unter den numismatischen Kleinwagen in dem Fund von Biesenbrow", sagte Kluge. Indem sich Theudebert I. auf dem in Metz, Reims oder auch in Köln geprägten Goldstück wie der im fernen Konstantinopel residierende Kaiser darstellen ließ, verbunden mit einem kreuztragenden Engel, habe er Majestätsbeleidigung begangen, und das habe man im Oströmischen Reich übel bemerkt. Außerdem beging der Merowinger den Fauxpas, Goldmünzen zu prägen, wo dieses Vorrecht doch nur dem Kaiser zustand. Theudebert I. war der erste König, der zur Goldprägung überging, nach ihm haben große und kleine Herrscher ihr Bild und ihren Namen auf anderen Münzen verewigt. Viele von ihnen wären vergessen, gäbe es nicht ihre Münzen.
Helmut Caspar