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06.08.2013

"Geht einmal durch Darmstadt..."

Was zu hessischen Münzen des 19. Jahrhunderts und einer neuen Zehn-Euro-Münze zu sagen wäre

Fünf Gedenkmünzen im Wert von zehn Euro kommen jährlich in der Bundesrepublik Deutschland heraus, und eine von ihnen ehrt 2013 den Dichter Georg Büchner, der vor 200 Jahren, am 17. Oktober 1813, in Goddelau bei Darmstadt geboren wurde. Die Münze wird in Stuttgart (Buchstabe F) aus Silber beziehungsweise Neusilber in Stuttgart nach einem Modell von Eugen Ruhl (Pforzheim) geprägt. Fast alle eingereichten Vorschläge lehnen sich an ein Porträt des Dichters und Revolutionärs an. Seine Dramen "Dantons Tod" und "Woyzek", das Novellenfragment "Lenz", das Lustspiel "Leonce und Lena", die Kampfschrift "Hessischer Landbote" und weitere Arbeiten sind nicht vergessen. Vielmehr nehmen sie in der deutschen Literatur und Geschichte des Vormärz sowie in der Theaterlandschaft einen ehrenvollen Platz ein. Außerdem ist ein renommierter deutscher Literaturpreis nach Georg Büchner benannt.

Neben E. T. A. Hoffmann und Heinrich Heine sei Büchner der bedeutendste deutsche Dichter des frühen 19. Jahrhunderts und neben Grimmelshausen und Goethe der größte hessische Dichter gewesen, erklärt Prof. Dr. Burghard Dreher von der Forschungsstelle Georg Büchner der Philipps-Universität Marburg. Sein wirkungsmächtiges, facettenreiches, jede junge Generation von neuem aufwühlendes und inspirierendes Werk, das bis heute nicht ausgeschöpft ist, sei in nur drei Jahren seines kurzen Lebens entstanden. Im Hauptberuf war Büchner, der Sohn eines Arztes, Zoologe erst in Straßburg, dann in Zürich. Den bedrückenden Verhältnissen seiner Zeit stand Georg Büchner kritisch gegenüber. Da er als Autor politisch "missliebiger" Werke, Gründer der geheimen Gesellschaft für Menschenrechte und Rufer für die Umwandlung des deutschen Fürstenbundes in eine Republik zuhause nicht mehr sicher war und per Steckbrief gesucht wurde, floh er ins französische Straßburg.

Ihm hinterher erließen die hessischen Ermittlungsbehörden 1835 einen Steckbrief. "Der hierunter signalisierte Georg Büchner, Student der Medizin aus Darmstadt, hat sich der gerichtlichen Untersuchung seiner indizierten Teilnahme an staatsverräterischen Handlungen durch die Entfernung aus dem Vaterland entzogen. Man ersucht deshalb die öffentlichen Behörden des In- und Auslandes, denselben im Betretungsfalle festzunehmen und abzuliefern", heißt es darin. Büchner wird ein düsterer, nach der Erde gesenkter Blick bescheinigt, und da er "dem Anscheine nach kurzsichtig" sei, trage er zuweilen eine Brille.

Die Beschreibung mag auf zahlreiche junge Männer jener Zeit zugetroffen haben, doch was die Behörden so erregte und was wir Sammler beim Anblick zeitgenössischer Münzen und Medaillen beachten sollten, ist die scharf und treffend formulierte Art und Weise, mit der sich Büchner über die herrschenden sozialen und politischen Verhältnisse seiner Zeit äußerte. Was er anprangerte, war Hochverrat, denn es richtete sich gegen die herrschende Ordnung, rüttelte 20 Jahre nach den Befreiungskriegen an den Säulen der Fürstenherrschaft, die sich mit Verboten und Gesetzen, mit Gefängnis- und mit Todesstrafen vor Veränderung zu schützen versuchte und eine "heilige Allianz" einging, dass es so auch bleibt. Es sollte nach Büchners Kampfschrift "Hessischer Landbote" noch 13 Jahre dauern, bis sich der angestaute Frust und die Wut über enttäuschte Hoffnungen in der Revolution von 1848 entlud, die auch die Fürsten das Fürchten lehrte, im Ergebnis aber an den herrschenden Zuständen nichts Grundsätzliches veränderte. In seiner Kampfschrift befasste sich Büchner unter der Überschrift "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" unter anderem mit den Steuereinnahmen des Großherzogtums Hessen, die er als "Blutzehnter" bezeichnet, der von dem Leid des Volkes genommen wird. "Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feile Gesichter und reden eine eigene Sprache; das Volk aber liegt vor ihm wie Dünger auf dem Acker", beschreibt Büchner das Oben und Unten in der Gesellschaft seiner Zeit. Mit bitteren Worten nimmt er die Regierung und ihre zahllosen Beamten, Räten und anderen Dienern aufs Korn. "Die Töchter des Volks sind ihre Mägde und Huren, die Söhne des Volks ihre Lakaien und Soldaten. Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen, und erzählt dann euren hungernden Weibern und Kindern, dass ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen sei, erzählt ihnen von den schönen Kleidern, die in ihrem Schweiß gefärbt, und von den zierlichen Bändern, die aus den Schwielen ihrer Hände geschnitten sind, erzählt von den stattlichen Häusern, die aus den Knochen des Volks gebaut sind; und dann kriecht in eure rauchigen Hütten und bückt euch auf euren steinigen Äckern".

Dieser Angriff traf nicht nur auf Hessen zu, sondern auch auf andere Fürstentümer und Kommunen. Dergleichen durfte nicht unbeantwortet bleiben, deshalb war die Antwort der Obrigkeit schnell und unerbittlich. Allerdings konnte man Büchners nicht habhaft werden, er hatte sich in französische Straßburg begeben, wo er eine Untersuchung über das Nervensystem von Fischen veröffentlichte. Weil sich der junge Gelehrte und Dichter dort aber nicht sicher fühlte, ging er weiter als Dozent nach Zürich, wo der er, gelegentlich von Schwermut geplagt, am 19. Februar 1837 an den Folgen einer Typhusinfektion starb.

Die Büchner-Münze zeigt einen jungen, neugierig und kritisch dreinschauenden Mann mit gewelltem Haupthaar. Die "altdeutsche" Tracht drückt laut Urteil des Preisgerichts die freiheitliche, revolutionäre Gesinnung des Dichters und Naturwissenschaftlers aus. Zwei Schriftkreise umschließen das Bildnis. Die äußere Umschrift nennt den Anlass der Gedenkprägung, die innere zitiert mit dem Slogan FRIEDE DEN HÜTTEN KRIEG DEN HÜTTEN. Das Motto ist aus einem französischen Pamphlet übernommen, das in der Revolutionszeit nach 1789 den Aristokraten den Kampf ansagte und forderte, das Volk möge die Herrschaft übernehmen und der Ungerechtigkeit und dem Schmarotzertum ein Ende bereiten. Die Jury lobt den Gesamteindruck des Ruhl’schen Entwurfs mit den Worten, die klassische Porträtauffassung und der konventionelle Charakter der Wertseite erzeuge "eine positiv zu wertende inhaltliche Spannung zur revolutionären Sprengkraft von Georg Büchners Ideen".

Wie immer hatte die Jury bei der Büchner-Münze die Qual der Wahl, denn auch andere Vorschläge zeigen das Porträt des Jungverstorbenen. Lediglich der mit einem vierten Platz belegte Vorschlag von Antje Born (Halle an der Saale) löst sich von dieser Vorlage und nennt auf mehreren untereinander angebrachten Schriftzeilen die wichtigsten Werke des Dramatikers, Erzählers, Philosophen, Revolutionärs und Zoologen. Die neue Gedenkmünze zitiert mit ihrer Randschrift das Bekenntnis ICH BIN SO JUNG UND DIE WELT IST SO ALT. Wer nicht Büchner-Fachmann ist, wird das selbstmitleidige Motto aus einem Dialog in einem Wirtshaus zwischen Valerio und Leonce eigenartig und unpassend finden und muss in dem auch heute gespielten Stück "Leonce und Lena" nachlesen, um den tieferen Sinn dieses Mottos zu verstehen. Helmut Caspar